Wegweiser für die Begleitung beschämter Menschen - in Zusammenarbeit mit "Ressourcenreich"
Moderation: Mag.a Elke Göttl-Resch
Die Würde des Menschen ist unantastbar – dennoch ist Beschämung ein zwischenmenschliches Instrument, mit dem Politik gemacht wird: Menschen werden herabgewürdigt, ausgegrenzt, als Untermenschen entlegitimiert und somit in ihrer Würde – scheinbar – antastbar. Willkürliches oder gar bewusstes Überschreiten der Schamgrenzen durch Missachtung, Unterdrückung oder Gewalt ist alltäglicher Usus in allen Gesellschaften.
Für Menschen, die im psychosozialem Feld betreut werden – besonders auch in der Kinder- und Jugendhilfe – ist das Überschreiten einer Schamgrenze besonders sensibel, sie sind nicht zuletzt gerade deshalb zu Hilfesuchenden geworden.
Wie begleiten wir Menschen so, dass diese sich wieder als wertvoll, achtenswert und selbstbestimmt erleben können? Was genau gelingt Menschen, wenn sich das Gefühl von Würde einstellt?
Programm
Montag, 9. Mai 2022
Vormittag:
09:00 | Begrüßung |
09:20 | Dr. Stephan Marks: Scham, die tabuisierte Emotion |
10:10 | Pause |
10:30 | Wilma Weiß: Über die Anerkennung des Schmerzes, die Expert*innenschaft und die Würde |
11:25 | Bettina Weidinger: Von der Scham zum Respekt |
12:35 | Fragen |
12:45 | Mittagspause |
Nachmittag: Workshops für alle Teilnehmer*innen (14:30 – 17:00 Uhr inkl. Pause)
WS A1/22 | Mag.a Andrea Nagy, PhD: Care-Leaver*innen als Expert*innen aus Erfahrung und Wissensquelle für die Kinder- & Jugendhilfe |
WS A2/22 | Bettina Weidinger: Und was jetzt? Die sexualpädagogische Didaktik auf der Basis absoluten Respekts |
WS A3/22 | Dr. Christoph Göttl: Würde wieder entdecken - Würde und Scham (AUSGEBUCHT) |
WS A4/22 | Dr. Stephan Marks: Scham, die Wächterin der Menschenwürde |
WS A5/22 | Dr. phil. Uri Weinblatt: Du bist zu streng! Du bist zu nachgiebig! |
WS A6/22 | Dr. Gunther Schmidt: Wie man Diagnosen und Symptom-Definitionen transformieren kann in Kraft gebende, würdigende Kompetenz-Identitäten |
Abend: Vortrag
19.00 | Dr. Gunther Schmidt: Woran würde man gelebte Würde in unterschiedlichen Kontexten merken - im Umgang mit uns selbst und Anderen und der Umwelt, in der "Erziehung", in Therapien/Beratungen, in Organisationen - hypnosystemische Überlegungen |
Dienstag, 10. Mai 2022
Vormittag:
08:30 | Dr. Uri Weinblatt: Scham: Die versteckte Emotion hinter dem Bedürfnis nach Respekt |
09:25 | Dr.in Marie Luise Conen: Von Tagträumen und Realitäten - Jugendhilfe in 2040 |
10:15 | Pause |
10:45 | Mag.a Andrea Nagy: Careleaver*innen - Würdevolle Bedingungen als Starthilfe in die Selbstständigkeit |
11:30 | Dr. Christoph Göttl: Aus der Dunkelheit Licht schöpfen |
12:15 | Diskussion und Fragen |
12:30 | Mittagspause |
Nachmittag: Vortrag
13:30 | Dr. Gerald Hüther: Es geht um unsere Würde |
Information zur den Vorträgen:
Von Tagträumen und Realitäten - Jugendhilfe in 2040
Vor dem Hintergrund zunehmender kritischer Entwicklungen in der Jugendhilfe werden in Bezug auf einzelne relevante Aspekte mögliche positive Zukunftsszena- rien gezeichnet. Marie-Luise Conen betrachtet diese auf verschiedenen Ebenen: Organisierung und Repolitisierung, Elternrechte und Kinderrechte, Solidarität mit
den Eltern, Kompetenz der Fachkräfte, Kooperation und Solidarität, Diagnostik, Hauptbestandtteile qua- lifizierter Hilfen zur Erziehung und deren Langzeitorientierung.
Aus der Dunkelheit Licht schöpfen
Der Krieg ging nach 1945 in den meisten Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und in Pflegefamilien weiter. Kinder und Jugendliche wurden gedemütigt, traumati-siert und als Sklaven unter Gewalteinsatz in der Landwirtschaft verwendet. Nur wenige Einrichtungen und Pflegefamilien boten einen Geborgenheit bietenden Hafen.
Meine Erfahrungen aus der Begutachtungskommission des Landes Steiermark für Übergriffe im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe haben mich verändert. Und sie werfen Licht auf unsere heutige Haltung.
Aus dem, was Menschen jahrzehntelang später noch als traumatisierend, und dem, was sie bis heute als stärkend und haltgebend erlebt haben, können wir Schlüsse ziehen über das, was es braucht, um Menschen ihre Würde wiederentdecken zu lassen.
Es geht um unsere Würde
In einer von Effizienzdenken und Erfolgsstreben geprägten Zeit ist die Wiederentdeckung der eigenen Würde wichtiger denn je geworden. Die Würde ist unser innerer Kompass, der uns durch Turbulenzen, Verlockungen und scheinbare Notwendigkeiten hindurchnavigiert.
Und: Wer sich der eigenen Würde bewusst wird, behandelt auch seinen Nächsten würdevoll.
Scham, die tabuisierte Emotion
Scham ist eine schmerzhafte Emotion, die in jeder Arbeit mit Menschen akut werden kann. Unerkannte Schamgefühle können zum Beispiel zu Rückzug oder Sucht führen - oder in Zynismus, Trotz oder Aggression umschlagen.
Daher ist es für alle, die mit Menschen arbeiten, wichtig, Scham zu erkennen und konstruktiv mit ihr umgehen zu können. Denn sie ist zwar schmerzhaft, hat aber auch positive Aufgaben: Scham ist, nach Leon Wurmser, die Hüterin der Menschenwürde.
Careleaver*innen - Würdevolle Bedingungen als Starthilfe in die Selbstständigkeit
Der Vortrag stellt Orientierungen junger Erwachsener am Übergang von der Kinder- und Jugendhilfe in ein selbstständiges Leben vor.
Um weitere Hilfestellungen zu bekommen, müssen sogenannte Care Leaver*innen oft ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten hervorkehren, anstatt Anerkennung für ihre Leistungen und ihr Wissen zu bekommen. Gerade in einer Lebensphase, in der es darum geht, die eigene Selbstwirksamkeit zu erkennen und zu erproben, stellt die Außensicht eines passiven Hilfeempfängers eine Verletzung ihrer Würde dar.
Im Vortrag wird die Aktivität der Care-Leaver*innen aufgezeigt. Als Expert*innen aus Erfahrung sind sie eine unverzichtbare Wissensquelle für die Kinder- und Jugendhilfe und sozialpolitische Regelungen, die den Übergang betreffen.
Woran würde man gelebte Würde in unterschiedlichen Kontexten merken
In der deutschen Verfassung steht zwar, dass die Würde des Menschen unantastbar sei, im Alltag gibt es dennoch viele Prozesse, die eher entwürdigend wirken, zum Beispiel schon im Umgang mit sich selbst, in Familien, Therapien und in Organisationen, auch dann, wenn dies bewusst gar nicht angestrebt wird.
Im Vortrag wird dargelegt, welche Prozesse (intrapsychisch individuell, in Interaktionen und in der Gestaltung von Kontexten) Voraussetzungen dafür sind, dass Würde erlebt und miteinander stimmig gelebt werden können. Vermittelt wird auch, wie man selbst ein dafür zieldienliches Erleben aufbauen kann. Diskutiert wird darüber hinaus, welche Zwickmühlen und Zielkonflikte es zum Beispiel für Therapeuten, medizinische Helfer usw. durch die Bedingungen des "Gesundheitssystems" gibt und welche Beiträge von der "Helfern" (oft ungewollt) zu entwürdigenden Begegnungen beitragen, aber auch, wie man solche Zwickmühlen konstruktiv und kompetenzaktivierend hypnosystemisch lösen kann.
Von der Scham zum Respekt
Sexualität ist mit vielen Tabus belegt und erzeugt in ganz unterschiedlicher Weise bei vielen Menschen auch Scham. Letztere wird vor allem von Kindern und Jugendlichen oft in einer sehr spezifischen Weise erwartet. Von Eltern, von Pädagog*innen und anderen Erwachsenen, die sich zum Teil als die Hüter*innen der schämenden Moral zeigen.
Dies kann dazu führen, dass die wahren Intimitätsgrenzen, die möglicherweise außerhalb des gesellschaftlich Erwarteten liegen, übersehen und respektlos übertreten werden. Ein Plädoyer für einen achtsamen, respektvollen Umgang mit dem Thema Sexualität, der individuelle Sichtweisen und Schamgrenzen abseits gesellschaftlich üblicher Konstruktionen zulässt.
Scham: Die versteckte Emotion hinter dem Bedürfnis nach Respekt
Scham ist ein weit verbreitetes und schmerzhaftes Gefühl, das jederzeit entstehen kann, wenn sich Menschen durch andere verletzt, herabgesetzt, geringgeschätzt oder ignoriert fühlen. Scham ist häufig die treibende Kraft hinter Machtkämpfen, Beziehungskonflikten und emotionalen Sackgassen. In aggressionsgeladenen Situationen, das wird schnell deutlich, steht hinter dem Wunsch, von anderen respektvoll behandelt zu werden, der versteckte Schmerz der Beschämung.
In diesem Vortrag wird ein Ansatz zur Schamregulierung in Beziehungen beschrieben, der respektlose Interaktionen in Gespräche verwandelt, die Offenheit, Verletzlichkeit und Intimität ermöglichen.
Über die Anerkennung des Schmerzes, die Expert*innenschaft und die Würde
Menschen, die Schmerzen erleiden und erleiden mussten, nennt die Mehrheit der Anderen Opfer. Opfer sein beschämt. Schmerzen werden privatisiert, gerade die seelischen Schmerzen.
Nur die Anerkennung dieser Schmerzen holt diese aus der Privatheit und schafft Verbindung. Verbindung, die durch die Schädiger*innen oft unterbrochen wurde. Die Anerkennung der Schmerzen beinhaltet die Anerkennung der Lebensleistung und der Expertise der Menschen aus herausfordernden Lebensumständen. Und wenn das zusammenkommt, ereignet sich ein heilender Prozess. Doch neoliberale Gesellschaftsstrukturen mit dem daraus folgenden Anpassungszwang schränken die Möglichkeiten ein.
Wie kann es gelingen, Räume zu schaffen, in denen Schmerz von anderen Menschen anerkannt und gewürdigt wird; die Würde zurück gegeben wird?
Information zur den Workshops:
Würde wieder entdecken - Würde und Scham (AUSGEBUCHT)
Haben Sie jemals eine Situation erlebt, in der Ihnen jemand so begegnet ist, dass Sie Ihre eigene Würde wiederentdeckt haben? Wie können wir Menschen so begegnen, dass Würde entsteht?
Die Teilnehmer*innen
- entwickeln durch tieferes Verstehen des Sinns von Scham eine intuitive Handlungskompetenz gegenüber Menschen, die Scham empfinden oder andere beschämen
- lernen, wie sie Menschen in ihrer Schuld- und Schamregulation unterstützen und damit daraus folgende Verhaltensweisen verändern können
Nelson Mandela in seiner Antrittsrede 1994 in Pretoria: "Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir unzuläng- lich sind. Unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich machtvoll sind. Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit. Wir fragen uns: Wer bin ich eigentlich, dass ich leuchtend, hinreißend, talentiert und fantastisch sein darf?"
Wenn Sie die Kraft befreien wollen, die bislang in Scham gebunden ist, dann besuchen Sie diesen Workshop.
Scham, die Wächterin der Menschenwürde
Anknüpfend an den Vortrag wird die Bedeutung des Themas erarbeitet: Für die eigene Person ("Psychohygiene"), für die Arbeit mit Menschen und für die Rahmenbedingungen für diese Arbeit.
Care-Leaver*innen als Expert*innen aus Erfahrung und Wissensquelle für die Kinder- & Jugendhilfe
Der Workshop stellt das Orientierungswissen von jungen Erwachsenen aus der Kinder- und Jugendhilfe am Übergang in ein selbstständiges Leben vor. Dieses Wissen fordert gängige Sichten über den Erwerb von Selbständigkeit in Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe sowie über den Übergang aus der Kinder-und Jugendhilfe in ein selbstständiges Leben hinein.
Im Workshop wird gemeinsam erarbeitet, wie das Wissen der Care-Leaver*innen in die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe und in sozialpolitische Regelungen, die den Übergang betreffen, einfließen kann, um die Angebotsqualität sowie die Übergangsstrukturen zu verbessern.
Wie man Diagnosen und Symptom-Definitionen transformieren kann in Kraft gebende, würdigende Kompetenz-Identitäten
Diagnosen stellen aus hypnosystemischer Sicht keineswegs eine eindeutige Aussage über diagnostizierte Menschen oder Systeme dar. Vielmehr sind sie Ausdruck von Beschreibungen und Etikettierungen, die von Beobachtern aus bestimmten Perspektiven - meist in generalisierender Form gemacht werden. Sie bewirken leider, wenn auch nicht beabsichtigt, die Vernichtung von wertvollen Informationen, vor allem solchen, die zeigen können, dass die Diagnostizierten sehr wohl in diversen Kontexten hilfreiche Kompetenzen gelebt haben.
So werden die Diagnostizierten in defizit-fokussierender Weise als insuffizient, "krank", inkompetenter als andere beschrieben und glauben dies oft auch selbst. Dies bewirkt eher zusätzliche Schwächung, Stress, Angst und Erleben von Demütigung.
Mit hypnosystemischen Konzepten kann aber meist schnell gezeigt werden, dass auch bei den Diagnostizierten viele wertvolle, hilfreiche Kompetenzen zu finden sind. Im Workshop wird gezeigt, wie unter anderem wieder achtungsvolle, würdigende Begegnungen aufgebaut werden können, die das Leid empathisch begleiten und gleichzeitig der Fokus auf hilfreiche Kompetenzen gelenkt wird.
Und was jetzt? Die sexualpädagogische Didaktik auf der Basis absoluten Respekts
Kaum ein anderes Thema fordert Menschen in der Auseinandersetzung mit ihrer persönlichen Biographie und den gesellschaftlichen Vorgaben so sehr wie das Thema Sexualität. Tabus, Grenzen, Verbote, Regeln, aber auch Forderungen, Erwartungshaltungen und Versprechungen beeinflussen und irritieren nicht nur im persönlichen Umgang mit dem Thema, sondern vor allem auch dann, wenn es um fachliche Entschei- dungen aus dem Blickwinkel von Klient*innen geht.
- Welche Rahmenbedingungen braucht es, um Sexualität als Thema im Klient*innenkontakt möglich zu machen, ohne dabei Intimitätsgrenzen zu überschreiten?
- Welche Überlegungen sind notwendig, um einen würdevollen Umgang mit Wünschen, Bedürfnissen und Verhaltensweisen zu finden?
- Und kann es gelingen, Klient*nnen eine respektvolle Vertraulichkeit zuzusichern, anstatt Einzelheiten aus deren Intimleben detailreich nach außen zu tragen?
Du bist zu streng! Du bist zu nachgiebig!
Der Kampf zwischen Eltern, darum, was die beste Art und Weise ist, um Kinder auf einen guten Weg zu bringen, ist eine häufige Herausforderung im Elterncoaching. Oft steht auch hinter diesen Kämpfen das Gefühl der Scham.
Im Workshop wird der Ansatz des "systemic mirroring" vorgestellt, um diese Scham zu regulieren und den Eltern zu helfen, das beste Team zu werden, das sie sein können.